unvorhergehört / projekt 2.08
konzert 08
michael m. kasper | cello
03 mai 2009 | 19:45 uhr (einlass 18:30 uhr)michael struck-schloen | moderation
eine produktion von
in kooperation mit
50678 köln
karten
vvk: 10 euro zzgl. vvk-gebühren | ak: 15 eurokartenreservierung
anfahrt und lage
programm
03. mai 2009
michael m. kasper | cello + gaspedal
robin hoffmann | schleifers methoden
marcus antonius wesselmann | solo 18 - passepied - uraufführung
- pause -
bernd alois zimmermann | sonate
domenico gabrielli | ricercar 1
alvin lucier | rpm's
michael m. kasper
kurzbiographie
© simon waldvogel
Michael M. Kasper erhielt mit sieben Jahren Blockflöten-, später Violoncellounterricht. Er studierte in Berlin und Köln. Von 1980 bis 1985 war er Mitglied des Ensemble Modern, anschließend bis 1997 Cellist im Kölner Rundfunksinfonieorchester. Von 1988 bis 2001 wirkte er als Dozent für Violoncello und zeitgenössische Kammermusik an der Musikhochschule Aachen. Dort gründete er 1997 eine eigene Konzertreihe für Neue Musik. Seit 1997 ist er wieder Mitglied des Ensemble Modern. Michael M. Kasper wohnt in Offenbach/Main und ist eingetragenes Mitglied bei den Kickers Offenbach.
der interpret
© manu theobald
Dass Michael M. Kasper einmal zu den profiliertesten Cellisten für zeitgenössische Musik
gehören würde, lassen seine ersten Berührungspunkte mit Musik kaum vermuten. Hindemiths Streichquartett, das er in jungen Jahren an der Jugendmusikschule Mainz spielte, bereitete ihm Kopfschmerzen. Lieber lauschte Michael M. Kasper den Klassikern, allen
von Dvoráks Cellokonzert. Die Empfehlung seines ersten Lehrers, diese Liebe als Orchestermusiker zur Profession zu machen, schien dem Jugendlichen verlockend, allerdings nur „wenn ich mir den Dienst immer so einteilen kann, dass ich keine neue Musik machen
muss.“ Auch die ersten Studienjahre in Berlin wiesen in eine andere Richtung. Sein dortiger Lehrer war ein passionierter Anhänger der Alten Musik. „Wenn ich da geblieben wäre, ich wäre in die Alte Musik gegangen.“ Dann folgte der Wechsel nach Köln, in die Klasse
von Boris Pergamenschikow, und von nun an ging alles ganz schnell: „Erstmal sind die Darmsaiten von meinem Cello runtergeflogen. Und dann fragte mich meine Komilitonin Susanne Eychmüller, ob ich beim gerade gegründeten Ensemble Modern mitspielen wolle.“
Der Einstieg in die neue Klangwelt fiel schwer. kontrapunkte von Karlheinz Stockhausen stand als eines der ersten Stücke auf dem Probenplan. „Das Stück spielen wir heute nach einer halben Probe. Damals haben wir sechs, sieben Proben gebraucht.“ Momente, in
denen er gerne das Handtuch geschmissen hätte. Aber Michael M. Kasper blieb. Erst fünf Jahre später wechselte er 1985 ins Kölner Rundfunksinfonieorchester, arbeitet außerdem von 1988 bis 2001 als Dozent für Violoncello und Interpretation Neuer Musik
an der Musikhochschule Aachen, gründete dort eine eigene Konzertreihe, um 1997 als festes Mitglied ins Ensemble Modern zurückzukehren. „Hier ist immer was los. Jede Woche spielen wir Werke, die wir noch nie gespielt haben. Manchmal entsteht da
schon der Wunsch nach mehr Repertoire. Oft ist man froh, wenn man ein Stück zum zweiten oder dritten Mal im Konzert spielt.“
Als Cellist ist Michael M. Kasper bei zeitgenössischen Komponisten viel gefragt und gefordert, denn das Cello bietet einen besonders großen Tonumfang und die Möglichkeit zur Darstellung verschiedenster Charaktere: „Man kann Cantilene spielen, es kann heldenhaft klingen wie das Horn oder klagen wie das Fagott. Ich weiß nicht, wo das Instrument tatsächlich Grenzen hat.“ Immer mal wieder begegnen ihm Stücke, mit denen er sich bis zur Generalprobe nicht wirklich anfreunden kann. „Im Konzert kann es dann plötzlich sein, dass ein Stück gut funktioniert. Man muss oft wirklich bis zum Konzert warten. Man wird da geduldiger. Mit sich selbst und mit den Stücken.“
Es ist der Klangrausch, der Michael M. Kasper bei guten zeitgenössischen Werken packt,
ihre bisweilen extreme Binnenspannung und immer neuen Grenzerkundungen. Stücke, wie die lange als unspielbar geltende Cello-Sonate von Bernd Alois Zimmermann, gehören nicht nur für Michael M. Kasper längst zum festen Repertoire. In seinen Augen hat die Bereitschaft vieler Musiker, sich mit der Materie auseinanderzusetzen, deutlich zugenommen. Auch wenn die Beschäftigung mit der Neuen Musik naturgemäß außerordentlich zeitaufwändig ist und, so Kasper, „eine bestimmte Haltung erfordert.“ Er hofft, dass sich in Zukunft mehr klassisch ausgebildete Musiker in speziellen Kursen mit der Neuen Musik beschäftigen. Er selbst schafft es kaum, neben den eigenen rund
hundert Konzerten im Jahr, noch weitere Konzerte mit Neuer Musik zu besuchen. Nach einem anstrengenden Tag kehrt er gerne zurück in den vertrauten Schoß der Klassik, hört sich eine Oper an oder entspannt bei Bach. „Die Neue Musik ist einfach anstrengend. Es ist anstrengend, sie zu spielen und es ist anstrengend, sie zu hören!“
Umso mehr begrüßt er die Entwicklung, dass traditionelle Sinfonieorchester heute bei weitem nicht mehr so ablehnend der zeitgenössischen Musik gegenüberstehen wie vor 40 Jahren. Auch die Haltung des Publikums hat sich verändert. Allerdings
wünscht sich Michael M. Kasper manchmal deutlichere Reaktionen. „Der Zuschauer heute protestiert nicht mehr, vielleicht aus Angst, ungebildet zu scheinen. Es ist schön, wenn man als Musiker Applaus bekommt. Aber ich wünsch mir mal, dass einer zeigt, wenn ihm etwas nicht gefällt.“ In vielen Zentren für Neue Musik wie Köln, Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München wird die zeitgenössische Musik oft in eigenen Musikreihen ausgekoppelt. Auch das Ensemble Modern vermittelt das vermeintlich Sperrige in einer eigenen Reihe „Happy New Ears“ an der Frankfurter Oper. Umso wichtiger scheint ihm, dass Veranstalter verstärkt zeitgenössische Werke in ein normales Sinfonieprogramm einflechten, damit ein größeres Publikum erreicht wird. Denn, so die Erfahrung von Michael M. Kasper, das Publikum verträgt mehr, als man sich vorstellt.
Sylvia Systermans
die komponisten
Robin Hoffmann: schleifers methoden
Erfahrungen eines Musiker mit dem Instrument, die sich in die Motorik seines Körpers eingeschrieben haben, sind Ausgangspunkt für schleifers methoden von Robin Hoffmann. Was der 1970 geborene Komponist bereits 2000 in seinem Stück an-sprache entwickelte – die Thematisierung des menschlichen Körpers als Ort des musikalischen Geschehens, indem der Körper selbst als Instrument zum Klingen gebracht wird – überträgt Robin Hoffmann in schleifers methoden auf die klassische Instrumentalsituation des Cellos. „In diesem Fall wie auch in anderen Solostücken gehe ich vom Interpreten aus und von Bewegungsmodellen, die er am Instrument erzeugt.“ Es ist das Spiel mit beiden Händen auf dem Griffbrett, sogenannte Tapping-Techniken, die in dem 2005 entstandenen Werk als „spezifische Disziplinierungen eines Cellisten“ zum Einsatz kommen – und ihn gleichzeitig im Umgang mit seinem Instrument an neue Grenze führen. Nicht der Klang, sondern die Aktion, die den Klang hervorbringt, ist konstituierendes Moment in schleifers methoden. Das Bewegungsmodell, aus dem sich das gesamte Stück entwickelt, besteht aus drei Momenten: einem Aufschlag, einem Glissando und einem abschließenden Pizzicato, ausgeführt jeweils von ein- und demselben Finger der rechten oder linken Hand. Als Gitarrist hat Robin Hoffmann die Technik des Tappings in freien Improvisationen und als Interpret zeitgenössischer Werke selbst erkundet. Doch während sie etwa in der sonate von Bernd Alois Zimmermann oder bei Lachenmann nur episodisch eingesetzt wird, verwendet Hoffmann sie als Hauptstrukturmerkmal seiner Komposition. „Eine unangenehme Technik“, wie sich Michael M. Kasper erinnert, auf dessen Anregung das Werk entstanden ist. „Am Anfang bestand die extreme Schwierigkeit darin, dass man so eine Bewegung mit der rechten Hand eigentlich nie macht. Die Finger der linken Hand sind stark und ausgebildet, die Finger der rechten Hand überhaupt nicht. Das ist, als ob man ein Instrument neu lernen muss.“ Aus dem Bewegungsmuster von Aufschlag, Glissando und Pizzicato entwickelt sich in schleifers methoden eine kontrapunktische Grundstruktur, indem die Finger der linken bzw. rechten Hand ihre jeweiligen Aktionen aufgreifen und fortführen. „In dem Moment, wo ein Finger von der Saite abzieht und die Saite auf den Finger der anderen Hand frei gibt, überträgt er damit auch die Funktion des Klangmodulierens des ihm zugeordneten Saitenteils auf die andere Hand.“ Also das Saitenteil, das je nach Aktion zwischen Greiffinger und Steg oder Greiffinger und Sattel entsteht und je unterschiedliche Klanglichkeiten evoziert. „Das ist für mich eine wichtige Aufgabe, dass vorderes und hinteres Saitenteil ständig im Austausch sind, dass die Bewegung aufwärts geht, der Klang aber abwärts. Am Austausch der Funktion beider Hände, am stetigen Übergreifen, an der Gegenüberstellung von vorderem und hinterem Saitenteil entwickelt sich der Fortgang des Stückes.“ Ein Verlauf, der in einem zweiten Formteil durch die Einbeziehung des Bogens und dessen gegenläufige Aktionen zum Spiel der linken Hand weiter verdichtet wird. Uraufgeführt wurde schleifers methoden von Michael M. Kasper zum 25jährigen Bestehen des Ensemble Modern. Er schätzt an diesem Werk besonders das Ineinandergreifen von äußerster Präzision und spielerisch klingendem Resultat. Ein Werk, so Kasper, das „manchmal witzig ist, manchmal niedlich und manchmal grotesk“ und in seiner Verbindung von komplexer Rhythmik und lustvoll sinnlicher Klanglichkeit neue Grenzen auslotet.» top
Sylvia Systermans
Marcus Antonius Wesselmann: solo 18 - passepied
Es ist eine schreitende Bewegung, der solo18 von Marcus Antonius Wesselmann seinen Untertitel „passepied“ verdankt. Wie in vielen Werken Wesselmanns wird auch in solo18 die vordergründig wahrnehmbare akustische Gestalt von einer komplexen Vorstrukturierung des Materials getragen, die – quasi subkutan – den eigentlichen Verlauf des Werkes bestimmt. Neben der schreitenden Bewegungsform sind Quintintervalle als Verweis auf die charakteristische Klanglichkeit des Cellos mit seinen in Quinten gestimmten Saiten bestimmender Ausgangspunkt von solo18. Als „quasi harmonische Keimzelle“ fungiert eine zu Beginn vorgestellte Einheit aus Quinten und Terzen als Generator für das gesamte Stück. Ein kompositorischer Prozess, dem kein motivisches Denken zugrunde liegt, sondern mathematische Modelle und Zahlenformeln, sogenannte Binärcodes, aus denen in solo18 Tonhöhen und rhythmische Verläufe abgeleitet werden. Die gleichförmig verlaufende Bewegung des Quintintervalls wird als formaler Kontrapunkt in allen Varianten durchdekliniert: aufwärts und abwärts, mal als reine Quinte, mal in große und kleine Terzen geteilt. In einer zweiten Ebene wird dieser Bewegungsfluss von einem Raster überlagert, das sein Material aus einem gedachten Kontinuum von quasi chaotisch angeordneten Tonhöhen bezieht. Diese greifen als Akzente in die erste Ebene ein und bringen den gleichförmigen Bewegungsimpuls scheinbar ins Stocken. Im Wechselspiel von Bewegung und Unterbrechung entsteht ein weiterer Kontrapunkt, der bestimmend ist für den rhythmischen Gestus des Stücks. Wie in einem Vexierbild greifen vordergründige akustische Erscheinung und hintergründig wirkende Struktur ineinander, wobei jede Ebene eine gewisse Autonomie bewahrt. Etwa in der Mitte kulminiert das Stück in einen Moment maximaler Verdichtung, indem der spielbare Bereich des Cellos in einer exponentiell nach oben ansteigenden Kurve verlassen und die rhythmische Struktur vollständig aufgelöst wird. Dieses Moment von gleichzeitiger Verdichtung und Auflösung markiert den Wendepunkt in solo18. Die Verhältnisse kehren sich um. Wurde zu Beginn die kontinuierliche Bewegung von Akzenten durchbrochen, wird diese Funktion jetzt von raschen Vorschlagsnoten übernommen, die nach und nach eine Eigendynamik entwickeln. Auch die Klangfarblichkeit verändert sich in diesem zweiten Teil vom kristallinen Sul Ponticello bis zum weichen Sul Tasto und einem immer dünner werdenden Bogenstrich, bis das Geschehen schließlich bei retardierendem Tempo in einen fast körperlosen gezupften Klang im vierfachen Pianissimo mündet. Die aufsteigende Quintfigur zu Beginn erscheint nun um eine Tonstufe erhöht in einer Abwärtsbewegung. Strenge Struktur und Auflösungstendenzen werden so am Ende von solo18 dialektisch verknüpft. Im Gegensatz zur beinahe martialischen Klangwelt des duodezett von Marcus Antonius Wesselmann, taucht das Cello in solo18 in eine Klanglichkeit, die er selbst als graziös, weich, beinahe zärtlich beschreibt – und als „eigentlich nicht meine Art“.» top
Sylvia Systermans
Bereits in den 50er Jahren entwarf Helmut Lachenmann ein Klangideal, das Geräusche als integralen Teil von Musik auffasste: an die Stelle eines punktuellen Klangs serieller Machart setzte er „Klangtypen verschiedener Art: Ein- und Ausschwingprozesse, Impulse, statische Farben, Fluktuationen, Texturen, Strukturen.“ Lachenmann plädierte für eine veränderte Wahrnehmung, die den Vorgang des Hörens als ein Abtasten von Strukturen deutet, wobei das Werk selbst dem Hörenden eine plastische Oberfläche anbieten soll, ein akustisches Relief mit verschiedenen Rauigkeiten, Schluchten und Erhebungen. Lachenmann vertrat die Vorstellung, dass jeder Klang, jedes Geräusch, jedes akustische Ereignis in einen bereits bestehenden Kontext eingebunden und durch ihn geprägt ist. Diesen geschichtlichen Kontext gelte es – im Sinne eines „dialektischen Strukturalismus“ – durch Verfremdung neu zu beleuchten und dadurch überhaupt erst bewusst machen. Hierzu entwarf Lachenmann eine „musique concrète instrumentale“, die Hörer von ihren Hörgewohnheiten zu befreien und für ein neues Kompositions- und Hörverständnis zu öffnen. Lachenmann bricht dabei mit der ästhetischen Norm des Schönklangs, provoziert die extreme Klangverfremdung, rückt die Struktur akustischer Klänge ins Zentrum der Wahrnehmung und befördert zugleich die Auflösung eines an der tradierten Tonalität orientierten Musikbegriffs. Mit neuen Spieltechniken für das klassische Instrumentarium wird in seinen Werken eine dem Geräusch verwandte Klanglichkeit erzeugt. Auch in pression wird der eigentliche Prozess der Klangbildung konstituierendes Mittel: Durch Erhöhung des Materialwiderstands entsteht ein Schleifen, Knarzen, Reiben, Klopfen, Rattern, etwa wenn Bogenhaare vertikal zu den Saiten nach oben und unten bewegt werden, Friktionsklänge entstehen durch einen mit Überdruck auf Saiten, Saitenhalter und Korpus gepressten Strich, etwa wenn in einer allmählichen Steigerung der Dynamik der Spieler in äußerster Lautstärke und mit höchstem Bogendruck hinter dem Steg spielt. Es sind hoch expressive Klänge vom zart anschwellenden Glissando bis zum aggressiv gepressten Dauerklang, jenseits von Zeit und Metrum.» top
Sylvia Systermans
© stefan odry
„Für mich persönlich hat das Schreiben von Werken für unbegleitete Soloinstrumente immer eine besondere Bedeutung gehabt, weil ich darin ein Äußerstes an kompositorischer Verdichtung sehe, unter Weglassung all dessen, was von anderen Instrumenten beigesteuert werden könnte. Das bedeutet: ein Eingehen besonderer Art auf das jeweilige Instrument und eine besondere Verfeinerung dessen, was es an Ausdrucksmöglichkeiten besitzt; es bedeutet weiterhin: Werke also der Einsamkeit, der Stille und des jeder Äußerlichkeit entkleideten musikalischen Denkens.“ Sein erstes Werk für ein unbegleitetes Soloinstrument schrieb Bernd Alois Zimmermann im Frühjahr 1951: die sonate für Violine solo. Eine Hommage an Bach, in der barocke Satztechnik mit Elementen der Zwölftonmusik verbunden werden. Vier Jahre später folgte mit der sonate für Bratsche solo ein instrumentales Requiem für seine kurz nach der Geburt verstorbene Tochter Barbara. Ein Nachsinnen „über die Grundtatsachen des menschlichen Lebens, Geburt und Tod, Werden und Vergehen, und über die Liebe, und all das, was ein Menschenherz bewegt.“ 1959 schließlich schrieb Bernd Alois Zimmermann an Siegfried Palm, er wolle „seit langem eine Cello-Solosonate schreiben“, ob er – Palm – „nicht die Lust verloren“ habe, andernfalls würde er sich an die Arbeit machen. Im April 1960 bestritt Siegfried Palm erfolgreich die Uraufführung der Sonate. Ein Interpret, bei dem Zimmermann nicht den Vorwurf des „Unausführbaren“ zu befürchten hatte. Dieser Vorwurf traf ihn stattdessen Seitens des Schott-Verlags, der mit Verweis auf die außerordentlichen spieltechnischen Schwierigkeiten des Werks eine Veröffentlichung ablehnte. Woran auch ein wütendes Antwortschreiben Zimmermanns nichts änderte: „Es ist ja gerade so, als ob die Cello-Solosonate eine ‚Instrumentalpornographie, eine absurde Perversion des Instruments’ sei, die man quasi unter der Theke handeln müsse“. Veröffentlicht wurde die Sonate schließlich bei der Edition Modern in München und sie gehört heute zu den meistgespielten Werken Zimmermanns. Ein Kompendium avancierter Cello-Spieltechniken. Wie in der Solokantate „Omnia tempus habent“ stellte Bernd Alois Zimmermann auch seiner Cellosonate einen Vers aus dem Buche Salomo voran, für ihn „eines nach Bedeutung und Kraft der Sprache wohl großartigsten Bücher der Bibel, wenn es überhaupt erlaubt sein mag, Eigenschaftsworte hier anzuwenden.“
Die fünf Sätze der Sonate tragen die Titel: Rappresentazione (Darstellung) – Fase (Abschnitt) – Tropi (bildliche Ausdrücke) – Spazi (Räume) – Versetto (kleiner Vers). Die
ersten vier Sätze setzen sich aus Binnenabschnitten zusammen, die sich in Tempo, Artikulationsart, Ton- und Klangdichte, Dynamik und Spieltechnik unterscheiden. Verklammert werden sie durch ‚Überlappen’ von Reihenverläufen und wiederkehrenden ähnlichen Gedanken. Das Tonmaterial selbst ist nicht streng seriell geordnet, stattdessen um Vierteltonkomplexe erweitert und in Dreitongruppen gefasst, die in ihren verschiedenen Permutationsformen teils nacheinander, teils simultan oder in überlagernden Zeitschichten gespielt werden. Zimmermanns Konzept einer „Kugelgestalt der Zeit“ wird hier strukturierendes Moment. Ein Konzept, wonach Zeit als innere Zeiterfahrung des Menschen nicht punktuell wahrgenommen wird, sondern mit dem gerade Vergangenen verbunden ist und sich zugleich auf das Kommende richtet. Diese Idee einer zur Kugelgestalt geschlossenen Zeit setzt Zimmermann in Musik, indem sich etwa in dem prestissimo possibile zu spielenden Abschnitt des ersten Satzes verschiedene Zeitschichten, definiert durch unterschiedliche Spielarten, überlagern: die obere Zeitschicht erklingt am Steg gestrichen, die untere Zeitschicht am Frosch des Bogens und die mittlere Zeitschicht wird pizzicato gespielt. Demgegenüber erscheint der fünfte und letzte Satz der Sonate als lyrischer Epilog, weniger virtuos, dafür umso intensiver im Ausdruck und beschließt damit ein Werk „der Einsamkeit, der Stille und des jeder Äußerlichkeit entkleideten musikalischen Denkens.“» top
Sylvia Systermans
Alvin Lucier: rpm's
Ins Auto setzen und Gas geben – ein tiefes Glück für jeden Automechaniker. Auch für den Cellisten und bekennenden Autofan Michael M. Kasper, wenn er rpm’s von Alvin Lucier spielt. Brausende „rounds per minute“ erzeugt er zwar nicht wie in der Partitur vorgesehen mit einem Aston Martin. Aber der alte Jaguar Michael M. Kaspers tönt nicht weniger sonor. Im Zeichen von Klimawandel und Weltwirtschaftskrise dürfte rpm’s andere Reaktionen provozieren, als im Jahr seiner Entstehung 1987, als von schmelzenden Polkappen und dem Niedergang der Autoindustrie in der breiten Öffentlichkeit noch keine Rede war. Provozieren möchte Michael M. Kasper allerdings auch eine Diskussion, ob es sich bei einem Stück, das von jedem Mechaniker ausgeführt werden kann, um Kunst handelt, und welche Konsequenzen sich für einen Interpreten ergeben, wenn er sein Cello zur Seite stellt und die schlichte Mechanik eines Gaspedals bedient. Nimmt man das Stück ernst, so Michael M. Kasper, lässt sich daraus eine durchaus reizvolle „Fragestellung nach dem Wohin und Warum“ ableiten. Alvin Lucier selbst näherte sich akustischen Phänomenen seiner Umwelt mit der Neugier des Forschers und dem Spieltrieb des Musikers. Wesen und Wirkung akustischer Klänge erprobte er in seinen Werken, die zwischen Performance, Komposition und Wissenschaft angesiedelt sind und veränderte damit in den 60er Jahren ähnlich wie John Cage den Begriff dessen, was Musik ist. Etwa indem er in music for solo performer Elektroden auf seiner Kopfhaut befestigte, die Augen schloss, sein Denken durch Meditation zur Ruhe brachte und mit so erzeugten und verstärkten Alphawellen um ihn verteilte Schlaginstrumente in Schwingung versetzte. In Klanginstallationen, Kammermusikstücken und Orchesterwerken beschäftigte sich Lucier mit den physikalischen Eigenschaften von Musik, mit Phänomenen der Klangübermittlung oder der Reflexion von Schall und Resonanz. Selbstausdruck und kompositorische Eingriffe in die physikalischen Vorgänge, auf denen seine Stücke beruhen, versuchte er dabei zu vermeiden. So können die graphischen Zeichen in rpm’s, die Linien, Haken, Punkte, Striche und Kreuze, die sich um eine durchgezogene Linie gruppieren, vom Interpreten beliebig neu angeordnet und gedeutet werden. Lediglich eine Improvisation sollte vermieden werden. Michael M. Kasper entwarf für seine erste Aufführung von rpm’s vor drei Jahren eine eigene Partitur, die insgesamt 35 Aktionen in einer bestimmten Reihenfolge und Dauer festsetzt. Die totale Länge setzte er auf 4’33 fest – seine persönliche Hommage an John Cage, der immer wieder die Frage nach dem Kunstbegriff aufwarf und einige Projekte mit Alvin Lucier gemeinsam erarbeitete. Auf die Frage, wie uns Klänge bewegen können, die frei von jedem persönlichen Ausdruck sind, formulierte John Cage: „Wenn Klänge sich selbst überlassen bleiben, verlangen sie nicht, dass diejenigen, die sie hören, das ohne Empfindung tun.“ » top
Sylvia Systermans
Gabrielli, italienischer Cellist und Komponist, arbeitete bis zu seinem Tode 1690 hauptsächlich in Bologna. Er war der erste, der Kompositionen für Violoncello solo verfasste: sette ricercari per il violoncello solo, datiert auf den 15. Januar 1689.